* 22. Januar 1916
† 22. Mai 2013
von Irmelin Schwalb , Maxime Joos und Holger Groschopp
Essay
Mit der ihm eigenen, geradezu unerbittlichen Bescheidenheit hat sich Henri Dutilleux von seinen kompositorischen Anfängen losgesagt; gleichwohl existieren etwa von der improvisatorisch geprägten, als Phantasie angelegten Sonatine für Flöte und Klavier (1943) oder der suitenartig aufgebauten Sonate für Oboe und Klavier (1947) Plattenaufnahmen. Erst von der Klaviersonate an, die 1948 von ihrer Widmungsträgerin und Dutilleux' späterer Ehefrau Geneviève Joy uraufgeführt wurde, läßt der einzelgängerische Komponist seine Arbeiten gelten. Tatsächlich finden sich hier durchaus Bestandteile seines unabhängigen, von der »eigentlichen« Musikszene isolierten, undogmatischen Stils, der jedoch niemals seine Herkunft aus der französischen Musikkultur verleugnet. Der Kopfsatz, wie die meisten Werke Dutilleux' über weite Strecken verhalten im piano und pianissimo, wächst organisch aus einer filigranen, figurierten Struktur heraus. Der auf die französische Klaviertradition verweisende Duktus wird kontrastiert vom II.Satz, explizit überschrieben mit »Lied«. Mit dieser Bezeichnung öffnet Dutilleux ein weites assoziationsträchtiges Feld – gewissermaßen ein Verweis auf seine späteren, poetisch-sprechenden Werktitel. Die auch später charakteristische Verbindung von klarer kompositionstechnischer Konstruktion, variativen Elementen und metaphysischem Gehalt deutet sich im Schlußsatz der Sonate an, einem Choral mit vier Variationen. Der Choral ist eigenwillig in vier Systemen ...